heiliger bimbam. der «Eidgenoss» ist tot.

warum hast du uns verlassen.

Nach neunzehn Jahren hat der «Eidgenoss» auf Ende Jahr sein Erscheinen eingestellt. Was noch vor einem Monat für jährliche fünfzig Franken (Lehrlinge und Studenten die Hälfte) zu haben war, schimmelt nun noch in einigen Bibliotheken vor sich hin. In einer einzigen Schachtel findet der eidgenössische Ausstoss von neunzehn Jahren Platz. Aber das dünne Blättchen war weit über unsere Landesgrenze hinaus bekannt. Bis nach Argentinien wurde es gelesen und bis dort reicht offenbar auch «die Beherrschung aller Medien und Presseorgane durch jüdische Interessengruppen». Denn im «Argentinischen Tageblatt» wird der «Eidgenoss» ein Schundblättchen genannt. Diese «geistigen Exkremente» lassen Max Wahl, den Chefredaktor kalt. Er sieht den «Eidgenoss» als kleinen Mahner. Nun gibt es ihn nicht mehr, diesen kleinen Mahner. Umso besser.
Als der «Eidgenoss» 1976 zum ersten mal aus dem Sumpf kroch, hiess er im Untertitel noch «Mitteilungsblatt der Eidgenössisch-Demokratischen Union». Ein Jahr später war er ein «Informationsblatt zur eidgenössischen Besinnung» und 1981 kam dazu noch die europäische Besinnung. Während das Blättchen anfangs «mindestens vierteljährlich» erschien, behauptete es 1981 plötzlich, zwölfmal im Jahr herauszukommen. Vier Jahre lang erhob es diesen Anspruch, aber es gab so viele Doppel- und Trippelnummern, dass man sich einige Jahre später auf das ehrlichere «erscheint 6-10 mal jährlich» beschränkte. Mit dem Zählen scheinen die Macher des «Eidgenossen» auch sonst ihre liebe Mühe gehabt zu haben. Der zehnte Jahrgang zum Beispiel dauerte ganze zwei Jahre. So kommt es, dass der «Eidgenoss» trotz neunzehn Lebensjahren nur Achtzehn Jahrgänge aufweist, was ihn mindestens arithmetisch bemerkenswert macht.
Die Geburt des «Eidgenoss» verdanken wir einer Adressiermaschine. Sie erlaubte es nämlich 1976 der Eidgenössisch Demokratischen Union (EDU) des Kantons Zürich «alle unsere Freunde und Sympathisanten leichter und rascher mit Informationen zu versorgen.» Und schon in der ersten Nummer gab?s Erfolgsmeldungen von der Politfront:»In Hittnau ZH, wo wir einen Vortrasgsabend veranstaltet hatten, der auch sehr gut besucht war, wurden unsere drei Nein-Parolen befolgt und alle Vorlagen verworfen (…) ein Fingerzeig, dass es doch noch aufmerksame Bürger gibt, die eine seriöse Information dankbar quittieren.» Heute gehört uns Hittnau, morgen die ganze Welt…
Die ersten Nummern des «Eidgenoss» sind recht bieder. «Spezialseiten Illnau-Effretikon» oder «Spezialseiten Stadt Uster» können da eine halbe, ohnehin nur vier Seiten starke Ausgabe füllen. Auf den restlichen zwei Seiten präsentiert Chefredaktor Dr. jur. Max Wahl seinen «Lieben Freunden» allerhand Zitate von sich selbst und von Ceausescu bis Mao Tse-Tung. Selbst der Kommunist kann ein lieber Freund werden, wenn er nur Nationalist genug ist. Auch sonst ist Herr Wahl in den siebziger Jahren noch ganz weltoffen. Er setzt sich für eine «Bio-Politik» und gegen Atomkraftwerke ein, tadelt den Dreyfuss-Prozess von 1894 als «chauvinistisch-klerikale Hetze» gegen die Juden und beglückwünscht nach Entebbe gar die Israelis in einem offenen Brief. 1976 wünscht er dem «israelischen Volk viel Kraft und Einigkeit». Dass wir alle Opfer einer «jüdischen Weltverschwörung» sind, wird Wahl erst einige Jahre später klar.
Vorerst aber wettert er seitenweise über die Jura-Separatisten, spricht von ihrem «völkischen Eroberungswahn, der Hitler alle Ehre machen würde» und vergleicht sie zur Abwechslung auch mal mit dem Ku-Klux-Clan. Seine weiteren Lieblingsfeinde sind die Jesuiten, die Kommunisten und natürlich die «Linkser». Gelegentlich ereifert sich Wahl aber auch über die Natonale Aktion (NA) und einmal gar über die Berner EDU, als diese gegen die Oben-ohne-Baderinnen im Marzili eine «Initiative gegen die Verwilderung der Badesitten» startet. Für Wahl ist «oben-ohne kein Problem». Ein Arzt und Mitglied der Zürcher EDU meint, «die Erfahrungen mit dem Nacktbaden sind durchaus gute». Der «Eidgenoss» hat insbesondere aus christlicher Sicht keine Bedenken gegen das «Entblössen der weiblichen Brüste an öffentlich zugänglichen Orten» und geht mit der Publikation von zwei Fotos stillender Mütter auch gleich mit gutem Beispiel voran.
Bei der nächstbesten Gelegenheit geht Wahl noch einen Schritt tiefer und bietet seinen Lesern gar «unten-ohne». Anlässlich der Jugendunruhen in Zürich bringt der sonst fast bilderlose «Eidgenoss» ein grosses Foto von nackten Demonstrantinnen und Demonstranten. Ausser ihrer Nacktheit gefällt Wahl an der bewegten Zürcher Jugend, dass sie sich weder von der SP noch von der POCH einnehmen lässt. Trotz seines Verständnisses für die «ehrlich Suchenden» fordert er aber doch «ein Mindestmass von Anstand». Dass Polizei und Gerichte «viel zu sanft mit sogenannten Demonstranten» umgehen, will Wahl nicht selber sagen. Dazu zitiert er einen Leserbrief aus der NZZ.
Die Sympathie des «Eidgenoss» für die Krawall-Jugend von Zürich erstaunt nicht. Auch er weiss nicht recht, was er will. Grossartig klagt der Chefredaktor an:«Wo ein Volk die Krankheit des Materialismus, die ihm in den Formen des liberalistischen Kapitalismus und sozialistischen Verstaatlichungs- und Gleichmacherdranges aufliegen, zu überwinden vermag, da wird es auch den Mut finden, utopisch anmutende Wege zur Selbsterhaltung zu beschreiten». Aber was genau der «Solidarismus» ist, den Wahl fordert, sagt er nicht. Klar ist nur, dass man zu dessen Erreichung auf gar keinen Fall die Jesuiten fragen oder der UNO beitreten darf. Und in einem kurzen Moment der Klarheit setzt Wahl ein Lichtenberg-Zitat unter seinen Artikel:»Mutige Menschen sind selten vernünftig.»
«Wahl Max, Dr. jur., geb. 1923» ist ehemaliger Rennreiter, Eishockeyspieler und Versicherungs-Generalagent. 1974 «verliert er seine Existenz, weil er den Kampf gegen die Überfremdung unterstützte.» 1975 gründet er die EDU und ist irgendwann sogar Vizepräsident des WWF im Kanton Zürich. Neben seiner Redaktoren-Tätigkeit scheint er weiter in der Versicherungsbranche zu arbeiten «Wählen sie Wahl» wirbt er für sich selbst im «Eidgenoss» denn «Die Versicherung von Menschen ist unser Spezialgebiet. Ausserdem helfen wir Ihnen, gesund und schlank zu sein in jedem Alter.» Sonst gibt?s im «Eidgenoss» nicht viel Werbung. Eine dubiose «Hilfsaktion Märtyrerkirche» bittet gelegentlich um Almosen, und kleine Gewerbebetriebe schalten dann und wann eine Viertelseite, um Teppiche oder Dampfreiniger loszuwerden. Einzig der «Tages-Anzeiger» inseriert in den frühen Jahren regelmässig und grosszügig im «Eidgenoss» mit dem Slogan:»Wer de Tagi liest, cha halt mitrede.» Nun, wenigstens ist der Tagi nicht drangeblieben.
1979 schreibt Wahl zum erstenmal über die Judenverfolgung. Noch heisst es nur in Klammern, dass «deren Zahlenstatistiken übrigens zweifelhaft sind». Bald fallen die Klammern und Wahl schreibt hemmungslos gegen die sogenannte «Auschwitz-Lüge». Er scheint die Deutschen entdeckt zu haben, fordert wiederholt die sofortige Freilassung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess und schreibt über einen «Psychocaust an unserem nördlichen Nachbarn». Auch sonst scheint das Blatt von einer geistigen Umnachtung ergriffen zu werden. Berichte mit Titeln wie «666, die apokalyptische Zahl» oder «Rom — Byzanz — Blut» erscheinen, und ein Fridolin Nauer behauptet:«Die überlieferten astrologischen Theorien und deren Regeln sind falsch. Die wirklichen kosmischen Gesetzmässigkeiten lauten gänzlich anders.» Auf Grund seiner Erkenntnisse hat Nauer Börsenprognosen aufgestellt. Eine IG BBCC («Big-Brother-Control-Computer») taucht auf und verkündet:» In spätestens sechs Jahren wird jeder Mensch der Erde, der mehr als 500 US-Dollar im Monat verdient oder über mehr als den Gegenwert von fünf Feinunzen Gold frei verfügen kann, für Insider mit einem vollständigen Computerdossier abrufbereit gespeichert sein.»
Die letzten zehn Jahrgänge des «Eidgenoss» sind eher ein Krankentagebuch als eine Zeitung. Wahl befasst sich fast ausschliesslich mit der Geschichte des zweiten Weltkrieges. Und in seiner zunehmenden Paranoia spricht er von der «jüdischen Kriegserklärung an Deutschland» von 1933 und dem «alttestamentlichen Kreuzzug für Amerikanismus und Bolschewismus mit Kriegsmaterial und der Hilfe deutscher Verräter» von 1944. Die Judenvernichtung ist in Wahls Kopf eine Lüge, Hitler hatte für ihn ein «kreatives und formendes Talent» und «weit über unsere Zeit hinaus ragende Vorstellungen», Neonazis werden nach ihm «von Presse und Fernsehen eingekleidet, auf die Strasse geschickt, im Bild festgehalten und honoriert.»
Die wenigen Beiträge die sich mit anderen Themen als der deutschen Geschichte befassen, zeigen Wahls Geistesverfassung besonders klar. Was er 1983 über das Wasser schreibt, erinnert an den Wahn des verrückten Generals in Stanley Kubricks «Dr. Strangelove». Wahl schreibt:«Wird nämlich Wasser in Eisenrohren, die dazu noch einen runden Querschnitt haben, unter Druck transportiert, so verliert es total seine Qualität und kann sogar zum Gift werden.» Vier Jahre später schreibt Wahl über AIDS. Sein Artikel ist mit «Unheil oder Hoffnung» überschrieben und prophezeit, dass dreissig Prozent der Weltbevölkerung an AIDS sterben werden. Wer zu den siebzig Prozent Überlebenden zählen möchte, muss nach Wahl gesund essen und Sport treiben und die «wichtigsten Grundsätze der Hygiene und Desinfektion» erlernen. Ausserdem sind «alle Intimkontakte in verantwortungsbewusster Absprache auf den engsten Personenkreis zu disziplinieren, und zwar bis hin zum Arzt, Friseur, Masseur und anderen Personen» Die Kleinanzeigen der selben Nummer des «Eidgenoss» bieten der hygienisch gesinnten Rechtsextremen die Gelegenheit, ihre Intimkontakte zu disziplinieren. Ein «volksbewusster Deutscher» sucht da eine «gleichgesinnte Freundin», eine «volksbewusste, deutsche Familie» sucht eine «kinderliebende Haustochter» um «als Kameradin einer jungen Mutter bei allem mitzuhelfen, gesunde Ernährung und Lebensweise zu erlernen» und eine Eheanbahnung mit dem vielsagenden Namen «Nornenglück» bietet ihre Dienste an.
«Auf dem Weg in die Holocaust-Gesellschaft» befindet sich die Schweiz nach Ansicht Wahls. Das schreibt er im «Eidgenoss» vom 15. Dezember 1994, der letzten Ausgabe des Blattes. Noch einmal geht es um die Juden. Aber Wahl scheint vom langen Kämpfen müde zu sein. Resigniert schreibt er:«Alles fügt sich so nahtlos in die jüdische Szene der Schweiz, alles ähnelt einander so sehr: das Auftreten Feigels, die um ihn tanzenden Antirassisten, die Machtergreifung im Bundeshaus und der Maulkorb, der zur Absicherung der Macht dem Schweizervolk verpasst worden ist. Weiterer Kommentar überflüssig.»
«In den geweihten Nächten des Jahres 1994» schreibt Max Wahl seinen «Abschied vom Eidgenoss». «Worte der Wahrheit», schreibt er,»bereiten unseren Feinden Angst. Das ist ein krankhafter Zustand. Sie sind entschlossen, dagegen Völker aufeinander zu hetzen, Frauen und Kinder abschlachten zu lassen, die Rüstungs- und Drogenindustrie aufzupumpen und sich selbst der magischen Macht Mammon zu opfern. (…) Wir schicken unseren Freunden die besten Gedanken und wünschen überhaupt allen, die diese Zeilen lesen, auch jenen, die uns verfolgen und uns viel Übles getan haben, dass sie das Licht und schliesslich auch die Hände gewahr werden, die sicher durch die Dunkelheit der Lüge zu führen wissen.»
Max Wahl ist einundsiebzig Jahre alt. Max Wahl ist krank im Geist. Es scheint, dass ihm auf dieser Welt nicht zu helfen ist. Aber vielleicht kommen sie wieder, die «unbekannten Fluggeräte, deren Herkunft mit hoher Wahrscheinlichkeit vermutet werden kann», die am 13. August 1993 nur zwei Kilometer vom Wohnsitz Wahls in einem Weizenfeld eine kreisrunde Spur hinterlassen haben. Die Halme waren «nur sanft gelegt (nicht geknickt) und die Ähren nicht beschädigt. Noch ist Zweck und Bedeutung, die den Zeichen von ihren Verursachern beigemessen wird, nicht bekannt.» Vielleicht kommen sie wieder, Max Wahl, und nehmen dich mit auf ihren sanften Planeten, wo es keine Juden gibt und keine Zigeuner, wo alle Wesen blond sind und volksbewusst und wo gesundes Wasser aus gesunden Quellen sprudelt.
Der «Eidgenoss» ist tot.
in welche gestalt ist nun deine Seele gewandert.
bist du ein stern geworden oder eine kette aus wasser.
heiliger bimbam. der «Eidgenoss» ist tot.

endlich!

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