Bildhübsche, langhaarige Akademikerin, 32, sucht

Lustvollen, kultivierten Mann

«Mein Wunsch für…» — streichen wir Weihnachten, Ostern — «…für Pfingsten: nicht mehr alleine sein» Oder soll ich einfach schreiben: «A dä Pfingschte goht’s am ringschtä»? Aber dann denken gleich alle, ich wolle nur das eine. Und das will man ja heute nicht mehr, wenigstens sagt man’s nicht. Was machen Männlein und Weiblein Kraft des kleinen Unterschiedes, der ihnen innewohnt? «Pferde stehlen», «Höhenwanderungen durch Natur und Geist unternehmen», «zärtliche Körper- und Seelenstunden geniessen», «Tiefe und Schönheit des Lebens erkunden». So ruft es aus den Rendez-vous-Spalten, den Spalten der suchenden Herzen. Und wie es aus dem Pressewald herausruft, muss man annehmen, ruft es auch zurück aus den Single-Wohnungen in «positiven Reaktionen», «unverbindlichen Anfragen», «Brieflein», «Echo», «Zeilen», «Offerten», «mit Bild», «mit Bild», «mit Foto», «mit Bild».

Eine Seele

Schön bin ich ja nicht gerade, dazu fehlen mir schon die von den Schweizer Frauen bevorzugten braunen Augen, aber zu «hübsch» reicht es allemal. Hübsch sind wir ja alle irgendwie, wenigstens die unter uns, die Kontaktanzeigen aufsetzen. Und schlank. Dick ist man nicht, wenn man inseriert, durch dick will man nur gehen wie durch dünn. Aber hübsch sein ist ja eigentlich nicht wichtig. Wichtig ist, dass man nicht raucht und sportlich ist, vor allem sportlich, einfühlsam und sympathisch, vielseitig interessiert, dynamisch und natürlich natürlich. Ein akademischer Titel hilft, mindestens selbständig oder Kadermann eines «CH-Konzerns» muss man schon sein um in der Inserateflut zu bestehen. Und wenn man raucht und unakademisch-unsympathisch, unsportlich und unnatürlich ist? Dann kann man doch wenigstens noch Selbstinserent sein, grossgeschrieben, und sich von all den Strohmännern und Lockvögeln abgrenzen, die von Partnerwahlinstituten auf den Markt und in die Rendez-vous-Spalten geworfen werden. Oder sich ganz einfach rätselhaft zurückziehen, sich hinter einem enigmatischen «Ich, m, 32» oder einem «32/m/175/75» verstecken. Man redet sowieso vielzuviel vom Ich und vielzuwenig vom Du.

Zwei Seelen

«Ehrlich, sinnlich, intelligent» musst Du sein, gleichzeitig «unabhängig und anschmiegsam». Einfach musst Du sein und Dein Leben soll geprägt sein «durch (sic!) bewusste Auseinandersetzung mit Dir selbst, Wachstum durch Veränderung, Respekt und Achtung Deiner und anderer Menschen Grenzen» — eine unkomplizierte Beziehung wünsche ich mir eben. Du darfst auch, wie es der DR. CHEM. 30/182 in plötzlichem Wechsel ins Schweizerdeutsche ausdrückt «än einfache Bruef» haben. Zwar sind wir lauter Supermänner, aber unsere Frauen dürfen ruhig etwas einfach im Kopf sein, nicht wirklich dumm, einfach normal, «etwas gebildet, trotzdem aber das Weibliche betonend», gäll, Müsli. Es reicht, wenn die Frau «seelenverstehend» und gepflegt ist. «Faust sucht Gretchen» eben, wie ein «32 Jahr zählender» Zürichsee-Rechtsseiter schreibt. Wie es dem Gretchen ergangen ist, vergisst der gute Mann wohl, sollte mindestens sein Gretchen in spe nicht stören, so sie noch eine Mutter hat, einen Bruder und ihre Unschuld. «Willst Du ein paar Zeilen an mich richten? Du brauchst dabei nicht zu dichten.» Hättest nicht dichten brauchen, Faust, auch so dem Gretchen’s vor Dir graust.

Drei Seelen

Eigenlob stinkt, zugegeben. Aber man kann den Leserinnen und Lesern ja auch nicht zumuten, die Katze im Sack zu kaufen. Selbst wenn die «Rücksendung der Fotos garantiert» wird. Und da die Anzeigezeile nicht billig ist, greift man halt doch am besten auf die zehn abgefloskeltsten Eigenschaften zurück, die sich Partnersuchende wünschen. Vorbei sind die Zeiten, als sich die einsamen Herzen vor allem über ihr Vermögen definierten, wie im französischen Heiratsmagazin «Le plus beau jour» vor siebzig Jahren: «Junges Mädchen, blond, hübsch, 28 Jahre, 20’000 Francs, katholisch» oder «Angestellte, kastanienbraun, 29 Jahre, sanft, folgsam, gewissenhaft, 600 Francs pro Monat, leicht tuberkulös». Die Tuberkulose ist fast ausgerottet, und Geld genug haben wir fast alle. Also beschränkt sich die Selbstbeschreibung heute auf Statur und Charakter. Aber was schon dem Flaneur auf der Strasse auffällt, bestätigt sich auch dem Leser von Kleininseraten: wir sind uns alle erstaunlich ähnlich, insbesondere, wenn wir auf sechzehn Worte oder drei Zeilen reduziert werden. So gleich sind wir uns, dass der Tages Anzeiger beispielsweise gleich global alle Inserenten als schlank, sympathisch, ehrlich und sportlich bezeichnen könnte. Dann müssten die Anzeigenschreiber nur noch die technischen Daten nachliefern: Alter, Grösse, Gewicht, akademischer Grad, Rauchverhalten und Hobbies. Aber selbst die Hobbies sind ja immer gleich: Tennis, Reisen, Lesen, Tanzen. Statt «Er sucht Sie» und «Sie sucht Ihn» würden spezialisiertere Rubriken die Sucharbeit wesentlich erleichtern. Etwa «Nichtrauchende Tennisspieler», «Tanzende Chemikerinnen» oder «Segelnde Innendekorateure». Bei geschickter Auswahl der Sammelbegriffe blieben höchstens zehn Prozent der Inserenten übrig, jene nämlich, die mit verkrampfter Originalität den uninteressierten Leser vergnügen, kaum aber sehr viele «ernstgem. Antworten» bekommen: der «attraktive Adam», die «zärtliche Shakti» auf der Suche nach dem «peppigen Shiva», das «zwiespältige Weib (Skorpion)» oder der Mann «isteinbock Braucht zwei Hände Trägt drei Seelen ach ach ach Raucht vier Zigaretten Lebt fünf Jahrzehnte schon…». Diese einsamen DichterInnen (die mit Vorliebe in der WoZ inserieren) fänden mit ihren Musenalbträumen in der Rubrik «Varia» oder «Offoff» ihr Plätzchen, wenn wohl auch nicht ihren Partner bzw. ihre Partnerin.

Vier Seelen

Ganze vier Seelen spürte Henri de Montherlant schon in den dreissiger Jahren in seiner Brust, wenn er Heiratsanzeigen las: die lachende, die begehrliche, die denkende und die weinende. Lachen konnte er über die Selbstüberschätzung der InserentInnen, über die grosse Bedeutung, die sie ihren blonden Haaren und ihrem Katholizismus beimassen.
Begehrlich machte den gerne als frauenfeindlich verschrienen Montherlant die Vorstellung der hundertfünfzig Frauen, die auf sechs Seiten einen Mann suchten — warum nicht gerade ihn selbst. «Hinter jeder Annonce steckt ein Gesicht, ein Körper und — wer weiss — vielleicht sogar ein Herz», schreibt er, «Hundertfünfzig Frauen die alle ein Abenteuer suchen, legal oder illegal, das legale tausendmal schlimmer als das andere, die sich in ihrer äussersten Not dem Erstbesten anbieten: alle Opfer, selbst die Schlimmsten. All die Enttäuschungen, all die sozialen Dramen — bis hin zum Glück — die in diesem Hexenkessel eines Heiratsjournales kochen.»
Die denkende und die weinende Seele Montherlants haderten mit dem Schicksal, das nicht zusammenführt, was zusammen gehört, grämten sich über die vielen Türen, an die nicht geklopft wird, weil sie nicht bekannt sind, bedauerten die Menschen, die ihr Leben lang auf den idealen Partner warten, an dessen Existenz sie keinen Moment zweifeln, und die doch sterben, ohne ihn jemals getroffen zu haben.
Schliesslich kommt der grosse, meist elitäre aber immer menschliche Montherlant zum Schluss, dass Heiratsanzeigen so übel nicht sind: «Alles was Begegnungen zwischen Menschen fördert, und sei es noch so albern und mittelmässig, verdient Ermutigung.» Denn «der Rückzug auf sich selbst — wenn er nicht durch hohe intelektuelle oder sprituelle Gründe gerechtfertigt ist — hat als Grund meist nur die Faulheit, den Egoismus, die Unfähigkeit, kurz jene ‹Angst zu leben› deren Bedeutung unter den Übeln, die den Menschen quälen, nicht genug betont werden kann.»

Eine Seele

Die Zeiten haben sich seit damals geändert, die Menschen und die Kontaktanzeigen kaum. Noch immer sind sie zu neunzig Prozent mittelmässig und zu zehn Prozent albern. Und noch immer kann man sie wie einst Montherlant im Grunde nicht verurteilen. Wenn aus tausend Anzeigen ein glückliches Paar entsteht, so hat sich der Aufwand gelohnt (für die Zeitungen lohnt er sich sowieso). Nur, bitte, ein bisschen weniger Selbstbespiegelung. Nicht alle Frauen suchen sich schliesslich ihre Männer nach dem akademischen Titel aus, gewisse Männer könne vielleicht selbst auf die langen Haare verzichten oder auf 90, wenn der Rest stimmt. Und es sind Beziehungen von Nichtraucherinnen mit Rauchern, von Sportskanonen mit Kautschkartoffeln bekannt. Den Tages Anzeiger freuts natürlich, wenn InserentInnen ihren kompletten Steckbrief in seinen Spalten veröffentlichen, aber nötig ist es nicht unbedingt. Und wenn man sich in der Disco mal vom Spiegel lösen kann oder im Zug statt in die Zeitung zum Banknachbarn schaut, wenn man sich die Pizza nicht ins Haus bringen lässt und seine Abende statt mit Harald Schmidt und Thomas Gottschalk wieder mal im Strassencafé oder bei einer Theatervorstellung verbringt, dann lernt man ja vielleicht sogar ohne Inserat einen Menschen oder eine Menschin kennen. Man kann ja auch mal Worte wechseln, ohne gleich ans Ringewechseln zu denken. Das kommt dann schon ganz von selbst, wenn es denn kommen muss. Und wenn es nicht kommt, dann kann man immer noch «im Mondschein in den See hinaus» (Zürisee) schwimmen. Dort trifft man mit etwas Glück den 52jährige «Seebueb», der eigentlich ein «bärtiger Seebär» ist, aber bestimmt kein schlechter Kerl. Vorausgesetzt natürlich, man ist fröhliche, tolerante, wetterfeste Nichtraucherin.

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