Luftbild Schweiz

AS-Verlag, 1999 (?)

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Die Photographie ist die Kunst, den Moment festzuhalten, genau den richtigen Moment, die richtige Dreissigstel- oder Sechzigstelsekunde. Keine Photographie lässt sich je wiederholen. Sei es Henri Cartier-Bressons Knabe mit der Weinflasche, seien es Anselm Adams Landschaftsbilder oder auch nur die Schnappschüsse von einer Hochzeit oder einer Taufe: nie wieder wird die Welt so sein, wie sie in dem Augenblick war, als der Fotograf, die Fotografin sich entschloss, auf den Auslöser zu drücken. Wir leben in einer stetig bewegten, in einer immer sich verändernden Welt. Deshalb vielleicht haftet Photographien etwas magisches an, deshalb vielleicht stimmen sie uns oft melancholisch. Weil sich nirgends wie in ihnen die ständige Veränderung zeigt.
Ein Bild von der Zürcher Street-Parade: Tausende von Menschen auf der Quai-Brücke. Vielleicht hat der eine oder die andere den Helikopter gesehen, von dem aus das Bild gemacht wurde, hat sich nichts weiter dabei gedacht. Es war heiss, die Musik war laut, die Stimmung ausgelassen. Aber was bleibt ist das Bild. Ein Bild, das unserem Land angemessener zu sein scheint, als es der Anlass war. Man denkt, wenn man an die Schweiz denkt, nicht an Bewegung.
Schon unsere Landschaften sind ein Sinnbild der Ruhe. Die stillen, oft tiefgründigen Seen, die grossen Wälder, die Berge. Aber so ruhig sie scheinen, sind sie doch in dauernder Bewegung. An manchen Orten sind im Fels noch die Falten zu sehen, die entstanden, als langsam wandernde Kontinente ineinanderstiessen und die Alpen aufwarfen. Und überall in den Bergen sind Wasser und Wind zu hören, die den Stein abtragen, der unendlich langsam aus dem Erdinneren nach oben stösst. Es ist nie still in den Bergen.
So bewegt sich unser Land, bewegen sich seine Bewohner: langsam, bedächtig. Die Bewegung ist in der Schweiz nie selbstverständlich, sie ist in unserem schwierigen Gelände fast immer mit Mühsal verbunden. Deshalb wohl dauert in der Schweiz alles seine Zeit. Wege bieten sich nicht an, sie müssen gesucht werden.
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Zürich 1999