Hölloch

AS-Verlag, 2000

Meine erste Höhle befuhr ich im Tessin, und sie führte mich bis zum Mittelpunkt der Erde. Ich war noch nicht zehn Jahre alt, in den Ferien und las Jules Verne. Es regnete, wie es nur im Tessin regnen kann, tagelang, wochenlang in meiner Erinnerung, und ich verschwand vom Erdboden, lag und las und dämmerte manchmal wohl auch ein und erkundete Seitengänge der Höhlen, Seitengänge meiner Phantasie, von denen nicht einmal Jules Verne etwas wusste.
Als ich fast dreissig Jahre später meine Fahrt ins Hölloch antrete, ist alles etwas anders. Schon der Eingang. Kein Vulkan, wie bei Jules Verne, nur ein unscheinbares Loch im Fels in einer engen Schlucht im Wald. Nichts verrät hier das riesige Höhlensystem, in das wir eintreten.
Ein knappes Dutzend Höhlenfahrer und zwei Führer sind wir, in alten Kleidern oder Overalls, mit Stiefeln und Gummihandschuhen und Plastikhelmen mit Karbid- und elektrischer Notlampe. Wir werfen letzte Blicke auf die wunderschöne Berglandschaft. Die Sonne werden wir erst in dreissig Stunden wieder sehen, aber der Abschied von ihr ist hastig, unaufmerksam. Zu gespannt sind wir auf die Höhle.
Die ersten paar hundert Meter sind wenig spektakulär. Die bequem angelegten Wege erinnern an jene von viel begangenen Touristenhöhlen. Endlich, schon ein gutes Stück im Erdinneren, endet der ausgebaute Weg, die untersten Stufen einer Holztreppe fehlen, und plötzlich stehen wir auf dem lehmigen Höhlenboden und rutschen in die Tiefe.
(…)

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