Diana, ein schöner Name,
Mercedes, ein hässlicher Tod

Jetzt ist sie tot, und wir glauben es noch immer nicht ganz: dass Diana im Boden liegt, auf einer kleinen Insel, mit der sie Jugenderinnerungen verbanden. Haben wir um sie geweint oder weil Elton John so schön sang oder weil so viele Blumen geworfen wurden? Haben wir geweint, weil andere weinten, weil andere starben oder weil wir selbst einmal sterben werden, schon bald?
Und dann, in der Zeitung, die wie alle anderen eine Sonderbeilage zum Sondertod veröffentlicht, auch Bill Gates neues Haus, dreissig Millionen Dollar teuer, sechsundzwanzig Zimmer gross (Bäder und Toiletten nicht mitgerechnet). Der grosse Gatsby von Scott Fitzgerald soll sein, Bill Gates, Lieblingsbuch sein. Ich hab’s grad kürzlich wieder gelesen, und weiss nicht einmal mehr, ob er stirbt, am Schluss, der Grosse. Weil es nicht wichtig ist, irgendwie. Weil wichtig ist, dass er lebt oder gelebt hat, selbst wenn er nur eine literarische Figur ist oder war. Der Tod ist, literarisch gesehen, nicht interessant, weil er unabwendbar ist. Weil er zwar traurig ist aber nicht tragisch.
Gates soll den grossen Gatsby mehrfach besitzen, bibliophile oder Erstausgaben. Ich weiss nicht, bleigedruckt auf Bütten, auf Papyrus handgemalt, was die Verlage sich halt so einfallen lassen, um das Wort zu veredeln. Ich habe ihn nur einmal, als billige Taschenbuchausgabe, und habe ihn doch nicht weniger als der Reiche, der nicht gross ist. Man kann ein Buch nur einmal kaufen, selbst wenn man noch soviel Geld hat. Der Rest ist Papier. Und Gates lebt nicht länger, nur weil er ein grösseres Haus hat als ich. Er lebt nur einmal, auch wenn er alles viermal kauft.
Aber noch lebt er, Gates, während Diana tot ist. Und doch: dass sie gestorben ist — liebe Trauergemeinde — ist nicht wichtig, nicht interessant. Für uns. Sie hat nie gelebt, nicht für uns. Nur für sich selbst. Für uns war sie eine Beamte des imaginären Ministeriums für Zeitvertreib. Und die Stelle, keine Angst, wird bald wieder besetzt.
Sie starb nur für sich selbst und für die wenigen, die sie wirklich kannten. Für sich selbst aber sterben auch Prinzessinnen nicht anders als wir, die wir, wie Shakespeare irgendwo sagt, Gott einen Tod schulden. Sterben wir dieses Jahr, so müssen wir’s im nächsten nicht mehr, sagt er, «a man can die but once». Und natürlich auch eine Frau: Autounfall, Krankheit, Blitzschlag (drei Japaner). Ob wir im 27-Zimmer Haus an der Küste wohnen oder in der Zweizimmer-Wohnung an der Rosengartenstrasse.
O, wer um alle Rosen wüsste … steht auf einem Grabstein, o, wer um alle wüsste, müsste wie im Traum durchs Leben gehn. Nein, Leser, Leserin, geh nicht wie im Traum, vergiss die Rosen in den o stillen Gärten. Es ist kein Traum, das Leben, nur die Rosen sind ein Traum. Die Rose Diana war ein Traum für dich. Weine nicht um sie.
Weine um dich, um deine Freunde, die auch sterben, wirklich sterben, so wie ich um meine Freunde weine und meine Freunde um mich dereinst weinen werden, nicht vor dem Fernseher, nein, beim Zigeunerschnitzel im Restaurant Warteck, weil das gleich neben dem Friedhof ist.
Sechs Milliarden Menschen leben auf dieser Welt, das sind sechs mal Tausend mal Tausend mal Tausend. Verdammt viel, verdammt noch mal. Wir können nicht um jede und jeden weinen. Und ausserhalb der Zeitungen ist auch jene Diana nur sechzig oder siebzig Kilo totes Fleisch, nun da sie in der Erde verrottet und trotz Bleisarg irgendwann zur Asche werden muss, zum Staub zu dem wir alle werden. Ich und du, vom Schlag oder von einem Mercedes getroffen oder von einem Blitz (3 Japaner).
Jetzt sind sie tot, nicht nur Diana, auch die jungfräuliche Mutter Teresa, Sir George Szolti. Gestorben alle, drei Japaner vom Blitz erschlagen, zwölf Namenlose in Südfrankreich bei einem Zugsunglück, ein paar Hundert beim Untergang einer Fähre vor Haiti. Wer nennt die Namen?
«Like a candle in the wind», sang Elton John so schön und nur für die Prinzessin. Aufgeblasen ihr Tod, ausgeblasen ihr Leben, ihr Licht. Sie können es nicht fassen, die Prominenten, dass auch sie sterben müssen. Und ich frage mich, weshalb selbst mich der Tod jener Schönen, Reichen, mehr berührt hat als jener der drei Japaner, der zwölf Franzosen, der drei- oder vierhundert Haitianer. Ein Tod ist eine Tragödie, sagte einst einer, hundert Tote sind Statistik. Aber hundert tote Haitianer sind hundert mal einer.
Hundert, tausend. Dreihunderttausend müssen es sein, jeden Tag, überschlagsmässig gerechnet. Dreihunderttausend Menschen, deren Licht ausgeblasen wird. Ein Orkan ist der Tod. Und zweieinhalb Milliarden schauten sich die Beerdigung jener Diana am Fernseher an. Zweieinhalb Milliarden, von denen schon heute, einige Tage später, eine halbe Million selbst gestorben ist. Fünfhunderttausend, die eben noch vor dem Fernseher sassen und um die andere weinten und die nun selber tot sind, weg, ein- für allemal. Fünfhunderttausend! Man zähle auf hundert und stelle sich den Rest vor, den unvorstellbaren Rest.
Eine Einladung, verschickt an meine Freunde, vielleicht fünfzig, vielleicht sechzig mit all jenen, von denen ich schon seit Jahren nichts mehr gehört habe. Und es werden nicht mehr sein, wenn ich einmal sterbe, morgen oder in fünfzig Jahren. Sechzig Trauernde gegen sechs Milliarden, die nichts davon wissen werden, die keine Sekunde vom Kochtopf, von der Bohrmaschine, vom Bildschirm aufschauen, wenn meine Seele gegen den Himmel fährt oder zur Hölle.
Der zweite Platz der meistgeschauten Beerdigungen geht vielleicht an die jungfräuliche Mutter, die Heilige in spe Teresa, die alle liebte, sich selbst so sehr, dass sie sich die besten Ärzte gönnte, während sie ihre kranken Schafe in Frieden und ohne Ärzte sterben liess. Die sich Gott so nahe glaubte und doch alles tat, um ihm möglichst lange nicht zu begegnen. Die sich mit jedem Mittel dagegen wehrte, dieses Jammertal zu verlassen. Sie wird schon gewusst haben weshalb. Nun ist auch sie tot, und ich würde wetten, dass auch sie nicht ewig lebt, so wie ich wetten würde, dass wir alle nicht ewig leben. Dass wir tot sind, wenn wir tot sind. Alles andere macht keinen Sinn.
Ewig lebt nur die Königstochter im Märchen, glücklich und zufrieden, wenn sie noch nicht gestorben ist. Und wer hätte jemals zu glauben gewagt, dass sie gestorben sei. Sie lebt ewig, weil sie nie gelebt hat, weil sie nie mehr war als Papier. Wir aber sterben, eines Morgens, eines Nachts auf einer Transitstrasse. Manchmal regnet es dann, aber genauso oft scheint die Sonne. Wir fallen von der Leiter, unser Herz hört auf zu schlagen, ein Krebs verzehrt uns, ein Schiff geht mit uns unter, ein Auto überschlägt sich.
Ein Auto überschlägt sich. So ziemlich die blödeste Art ums Leben zu kommen. Auch wenn so Diana starb und — ach! — all die andern armen Teufel, die Tausende, die Hunderte. Die zwei, die auch heute in unserem Lande so ungefähr und rein statistisch in den Asphalt gebissen haben. Wer weiss, wie sie heissen. Bachmann vielleicht.
Diana, ein schöner Name, Mercedes, ein hässlicher Tod.

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Diana, ein schöner Name, Mercedes, ein hässlicher Tod