(der Titel bezog sich auf eine Illustration von Brigitte Fries)
«Liebe Fahrgäste, wir würden Ihnen sehr gerne einen sauberen und angenehmen Warteraum anbieten. Gesellschaftliche Randgruppen wissen unser Angebot leider nicht zu schätzen», teilt «Ihre SBB» auf einem kleinen Plakat im Wartehäuschen im Zürcher S-Bahnhof Stettbach mit.
Welche gesellschaftlichen Randgruppen wissen das Stettbacher Wartehäuschen nicht zu schätzen? Hat man sie alle angefragt? Die Behinderten, die Schwulen, die Bartträger? Die Stettbacher? Oder wird man automatisch zur gesellschaftlichen Randgruppe, wenn man Wartehäuschen nicht schätzt? Und ist, dass man Wartehäuschen zum Beispiel inwendig bemalt ein Zeichen dafür, dass man sie nicht schätzt? Ist es nicht viel eher ein Zeichen dafür, dass man sie ganz besonders schätzt und sei es nur als Malgrund? Es ist alles relativ.
Oder zum anderen Beispiel: die Ems-Patvag stellt Zünder her, die in Munition und Minen eingebaut unzählige Menschen töten und verstümmeln. Aber die selbe Firma verkauft auch Zünder für Airbags, die unsere Autos sicherer machen. Menschen, denen eine Tretmine die Beine weggerissen hat, sind ganz besonders auf Autos angewiesen, gerade in Zeiten, wo ihnen nicht einmal mehr Wartehäuschen zur Verfügung stehen. Ist nun Blocher ein Waffenhändler oder ein Wohltäter an der Menschheit? Alles ist relativ.
Ist Wagner schuld, dass Hitler seine Musik mochte? Und ist Albert Anker schuld, dass Christoph Blocher seine Bilder mag? Und ist Christoph Blocher schuld, dass Rechtsextreme ihn zu ihrem Helden machen und seine Parolen noch etwas lauter brüllen als er selbst? Es ist alles relativ. Wenn zum dritten Beispiel im Zürcher Niederdorf nur zwölf Polizisten hundert Skinheads gegenüberstehen, weil sie relativ spät von der Party gehört haben, so sind das relativ wenige, wenn hingegen zwei Polizisten in Winterthur einen zweijährigen Dreirad- oder einen dreijährigen Zweiradfahrer büssen, so sind das relativ viele.
Alles ist relativ. Atomkraftwerke sind relativ ungefährlich, Gentechnik ist relativ unbedenklich. Mit Blocherschen Waffenbestandteile wurden zwar relativ sicher Tausende von unschuldigen Menschen getötet, aber Blocher hat damit auch relativ viel Geld verdient. Und schliesslich sind sogar, wie uns die Werber für Chrysler-Automobile versichern «Zeit, Raum und Platz relative Begriffe».
Dass Zeit und Raum relativ sind, wissen wir spätestens seit Einstein. Aber Platz? Wo ist der Unterschied zwischen Raum und Platz? Und warum ist Platz relativ? Weil da, wo drei kleine Japaner bequem sitzen, drei grosse Schweden sich ducken müssen? Ein relativ dummer Slogan, dachte ich lange. Bis ich in Stettbach das kleine Plakat im Wartehäuschen las. Da begriff ich plötzlich: der Unterschied zwischen Raum und Platz ist das Stettbacher Wartehäuschen. Da ist zwar Raum, aber kein Platz. Kein Platz mehr. Seit es abgeschlossen ist.
Es ist kein Platz mehr, nirgendwo. Für Randgruppen, für Ausländer. Egal ob ihr Anteil an der Bevölkerung weniger als ein — wie in Finnland — oder mehr als fünfzehn Prozent — wie in der Schweiz — ausmacht: sie sind den Neonazis, den neuen Nazis und ihren geistigen Vätern plötzlich zu viele geworden. Zwar ist Raum genug, aber gewisse Leute wollen keinen Platz machen.
Hundert Rechtsradikale besaufen sich im Zürcher Niederdorf und verprügeln Passanten, zwölf Polizisten schauen zu, und die geistigen Rädelsführer sitzen in Meilen und anderswo und lehnen jede Verantwortung ab und bauen Waffen, die sie an Ausländer verkaufen, damit diese andere Ausländer ausrotten können und verdienen eine Milliarde und nennen sich Christen. Das ist schlimm, nicht relativ schlimm, absolut.
Natürlich ist es wichtig, dass die Polizei endlich etwas gegen die Rechtsextremen unternimmt. Aber auch zwei oder drei Dutzend Polizisten im Niederdorf hätten den Rechtsextremismus nicht zum Verschwinden gebracht. Potentielle Parolenschreier gibt es immer genug. Fallen vorne ein paar um, rücken von hinten Neue nach.
Solange Hunde Politik machen, müssen wir uns nicht wundern, wenn wir ihre Exkremente an den Strassenecken finden. Solange grosse Parteien zwar anonyme Sextelefonisten ausschliessen, aber Waffenproduzenten zu ihren Präsidenten machen, müssen wir uns nicht wundern, wenn der Glaube an die Demokratie verlorengeht.
Sein «Bruder Christoph» sei tüchtig, mutig, leutselig, humorvoll und immer bereit «den Kopf hinzuhalten», darf im «Magazin» Andreas Blocher in einem pseudo-kritischen «Essay» schreiben. So sollen wir ihn sehen, diesen Blocher, ein «Cheib», ein «Grind», ein Vollblutpolitiker. Dabei schwänzt der Gute Ratssitzung nach Ratssitzung, plaziert gelegentlich ein paar stupide Parolen und scheffelt ansonsten nur Geld. Blocher ist kein Politiker, er ist ein Industrieller mit einer grossen Schnauze und mit Händen voller Blut.
Nebenbei gewinnt Blochers Bruder und Biograph auch noch schnell der Diktatur Francos etwas «paradox Gutes» ab, nämlich «dass sie so lange gedauert hat». Dann ist wohl das paradox Schlechte an Hitlers Diktatur, dass sie so schnell zu Ende ging? Der kleine Blocher, der gemäss Eigendeklaration über Nacht vom Kantilehrer zum «Publizisten» geworden ist, hat eben einen «klugen Kopf». Und, so René Bortolani in seinem Editorial: «Kluge Köpfe sind beim ‹Magazin› immer willkommen.»
Am Schluss seiner Hymne wird es Andreas Blocher ganz philosophisch zumute und er raunt über den Menschen im Allgemeinen: «Man kann da ewig darüber streiten, ob seine Bestimmung der Tod ist oder das Leben.» Unbestritten nur ist der Tod die Bestimmung des Ausländers, der auf einen Minenzünder Blocherscher Produktion tritt. Aber das scheint den zwei Blocher-Brüdern relativ egal zu sein.
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